OLG-Urteil: Trennungsjahr und gemeinsame Wohnung bilden keinen Widerspruch
Paare, die sich scheiden lassen wollen, müssen mindestens ein Jahr getrennt voneinander leben. Wie dieses Getrenntleben aber konkret aussehen muss, ist familienrechtlich umstritten. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat mit einer neuen Entscheidung den Weg für ein progressiveres Verständnis von Trennung geebnet. Denn: Paare dürfen im Trennungsjahr die gemeinsame Wohnung teilen.
Trennung trotz gemeinsamer Wohnung?
Im Verfahren vor dem OLG ging es eigentlich “nur” um Auskunftsansprüche, die die getrennt lebenden Ehegatten gegeneinander haben: §1379 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) regelt, dass die Ehepartner im Fall einer Trennung bzw. Scheidung ihr Hab und Gut zum Zeitpunkt der Trennung offenlegen müssen. Hintergrund für diese Regelung ist eine möglichst reibungslose und wahrheitsgetreue Abwicklung der Vermögensaufteilung.
Nun waren sich die Eheleute aber über den Zeitpunkt der Trennung uneins. Der Ehemann hat ein wesentlich späteres Datum als Trennungszeitpunkt genannt als seine Ehegattin. Offenbar wohnten beide nach wie vor zusammen mit ihren drei minderjährigen Kindern im gemeinsam gekauften Haus, aßen als Familie regelmäßig Mittag und erledigten immer mal wieder Einkäufe für den jeweils anderen.
Die Frage, die sich das Gericht daher stellen musste, war: Schließen sich ein Trennungsjahr und eine gemeinsame Wohnung nun aus?
Trennung ist nicht zwingend räumlich gemeint
Das OLG verneint dies. In der Pressemitteilung des Gerichts heißt es wörtlich:
“Dabei sei es [für eine Trennung] nicht erforderlich, dass ein Ehegatte aus der ehelichen Wohnung ausziehe. Ausreichend sei, wenn die Ehegatten innerhalb der ehelichen Wohnung getrennt lebten. Es bedürfe keiner ‚vollkommenen Trennung‘.”
Pressemitteilung OLG Frankfurt am Main, Nr. 19/2024
Nach Auffassung der OLG-Richter reicht ein „der räumlichen Situation entsprechendes Höchstmaß der Trennung“ aus. Was genau hinter dieser schwammigen Formulierung steckt, versucht das Gericht anhand von drei wesentlichen Kriterien festzumachen:
- Getrenntes Wohnen und Schlafen, das auch nach außen erkennbar ist
- Ein getrennter Haushalt
- Keine enge persönliche Beziehung zueinander
Sind all diese Punkte erfüllt, liegt ein Trennungsjahr vor – die gemeinsame Wohnung dürfen beide trotzdem weiterhin bewohnen.
Trennungswille nach außen erkennbar
Im Fall des Ehepaares sah das Gericht keinen Grund, eine Trennung trotz gemeinsamer Wohnung zu verneinen. Beide Parteien haben im Verfahren bestätigt, dass der Ehemann im Keller ein eigenes Schlaf- und Badezimmer hatte und dass es auch sonst kaum Berührungspunkte zwischen den Ehegatten gab.
Zwar gab es vereinzelte Einkäufe, Erledigungen und regelmäßig ein gemeinsames Essen mit den Kindern. Dies alles sei aber Ausdruck allgemeiner Höflichkeit und Hilfsbereitschaft, wie sie auch in nichtehelichen Wohn- und Lebensgemeinschaften zu finden sind. Einer Trennung stehen sie jedenfalls nicht im Weg, so das Gericht abschließend.
Änderung der räumlichen Trennung ist überfällig
Macht diese Rechtsprechungspraxis des OLG Schule, dürfte das friedliche und am Kindeswohl orientierte Trennungsprozesse deutlich vereinfachen. Verneinen Familiengerichte dagegen ein Trennungsjahr, sobald eine gemeinsame Wohnung im Spiel ist, könnte ein Elternteil sich dazu gezwungen sehen, auszuziehen.
Dass daraus wiederum weitere Streitpunkte zu Umgangs- und Sorgerechten resultieren, die nicht nur die Beziehung zwischen den Eltern, sondern auch zu den Kindern belasten, liegt nahe. Vermutlich ist das ein weiterer Grund, warum das OLG Frankfurt an der bisherigen Rechtsprechung rütteln will.